Mord an Anna Lindh
Chronik der Ereignisse
Heute morgen trat der Schwedische Ministerpräsident Göran Persson vor die Presse, um den Tod Anna Lindhs mitzuteilen. Doch was geschah in den Stunden davor? Eine Chronolgie der Ereignisse.
10.September 2003 - Nachmittags
Eigentlich wollte Anna Lindh sich nur entspannen, als sie am Mittwochnachmittag mit einer Freundin das Stockholmer Kaufhaus "Nordiska Kompaniet" betrat. Am Abend sollte sie einer TV-Debatte um die Euroeinführung beiwohnen.
Um 15.45 verlässt Anna Lindh das Utrikesdepartement (Aussenministerium) zusammen mit einer Freundin. Sie gehen durch eine Gallerie die wenigen hundert Meter zum Kaufhaus NK, das sie durch den Eingang "Hamngatan-Regeringsgatan" betreten.
Im "Nordiska Kompaniet" wollen die beiden das Modegeschäft "Filippa K" besuchen und fahren deshalb mit der Rolltreppe ins erste Oberschoss.
Es ist 16:14 Uhr als die zweifache Mutter plötzlich von einem heruntergekommenen etwa 30 Jahre alten Mann - wahrscheinlich Schwedischer Nationalität - angegriffen wird. Er reißt sie zu Boden und rammt ihr mehrmals ein Messer in Bauch und Oberschenkeln. Nur Sekunden später springt er auf und rennt blutverschmiert davon. Noch im Kaufhaus wirft er seine Armeejacke und das Messer weg. Anna Lindh wickelt sich noch selbst ein Tuch um den Arm.
Sofort rasen Krankenwagen und Notärzte zum Kaufhaus. Es vergehen nur wenige Minuten bis die Ärzte vor Ort sind. Die Polizei braucht länger, viel länger. Um 16.19 geht der Alarm bei der Polizei ein. Es vergehen wertvolle Minuten bis die erste Polizeistreife um 16.27 vor dem Kaufhaus eintrifft. Auch die U-Bahn hätte gestoppt werden können, um dem Täter die Flucht zu erschweren, doch sie fuhr weiter.
Der Krankenwagen bringt Lindh zum Stockholmer Karolinska-Krankenhaus. Dort verzeichnet man ihre Einlieferung um 16.39 Uhr. Es werden Verletzungen an den Armen sowie am Bauch und Unterleib festgestellt. Die Ärzte beginnen um 17 Uhr mit einer Notoperationen. Anna Lindh ist bis zur OP bei Bewusstsein.
Am Tatort beginnt die Polizei mit der Spurensicherung.
Es ist circa 17.00 Uhr, als die Nachricht vom Angriff auf Lindh über die Deutschen Agenturen geht. Zu dem Zeitpunkt spricht man noch von einem "Messerstich". Die Nachrichtenlage ist arg undurchsichtig. In Schweden sind währendessen fast alle TV-Sendern live auf Sendung. Kamerateams rasen mit Ü-Wagen zum Tatort.
Um 18 Uhr tritt der Schwedische Ministerpräsident Göran Persson in Stockholm vor die Presse. Er bezeichnete Lindhs Gesundheitszustand als ernst und kündigte die Einstellung der Euro-Werbekampagne der Regierung ein. Er ordnet eine stärkere Bewachung der Regierungsgebäude an.
Anna Lindh befindet sich zu der Zeit im Operationssaal des Karolinska-Krankenhauses. Die Ärzte Lars Irestedt und Göran Wallin diagnostizieren Verletzungen der Leber und schwere Innere Blutungen. Die Verletzungen an den Armen sind eher nebensächlich. Lindh bekommt große Mengen an Blut zugeführt um ihren Kreislauf zu erhalten. Die Ärzte kämpften bis um 23 Uhr. Dann legten sie eine kurze Pause ein. Die Blutungen können reduziert werden. Später dann wird die Operation fortgesetzt. Um 2 Uhr ist Anna Lindhs Blutkreislauf fast unter Kontrolle. Die Ärzte hofften.
Es ist halb fünf am Morgen, als sich der Zustand von Anna Lindh plötzlich rapide verschlechtert. Daran sind jedoch keine inneren Blutungen schuld. Ihre Lungen stellen die Funktion ein. Kurz darauf bricht auch ihr Kreislauf zusammen.
Anna Lindh verliert den Kampf gegen den Tod um 5:29 Uhr am Morgen des 11.September 2003.
Der Morgen beginnt in Deutschland, wie auch in Schweden mit der Meldung, dass Anna Lindhs zustand kritisch sei. Es dauert knapp vier Stunden bis ihr Tod bekannt wird. Kurz nach neun Uhr meldet die schwedische Nachrichtenagentur TT den Tod Lindhs. Um 9:28 Uhr wird die Nachricht von der ersten deutschen Agentur verbreitet. Die Öffentlichkeit erfährt vom Tod als erstes im Radio in den Nachrichten um halb zehn. Nachrichtensender unterbrechen ihr Programm um die Nachricht vom Tod der schwedischen Aussenministerin mitzuteilen.
Eigentlich hatte man für diesen Morgen in den Redaktionen Sendung über den zweiten Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center geplant, doch die Meldungen aus Stockholm bringen alles durcheinander.
Die Webserver der beiden großen schwedischen Tageszeitungen «Svenska Dagbladet» und «Dagens Nyheter» brechen unter der Last der vielen Abrufe zusammen.
Schwedens Ministerpräsident Göran Persson gibt derweil eine Pressekonferenz. Unter Tränen erklärt er den Tod Anna Lindhs. Er spricht davon, dass Schweden sein Gesicht nach draußen in die Welt verloren hat.
Wenige Stunden später um 13 Uhr erklärt Persson nach langen Beratungen, dass das geplante Euroreferendung am Sonntag wie geplant stattfinden wird. Die Werbekampagnen der Parteien werden jedoch eingestellt. Eine abschliessende TV-Debatte soll noch stattfinden.
Am Nachmittag erklären die behandelnden Ärzte die Todesumstände Lindhs.
Die Polizei tappt noch immer im Dunkeln. Man spricht von einem heruntergekommenden, kräftigen Schweden. Die Kritik am Geheimdienst wird lauter. Wieso schätzte er das Gefahrenpotenzial in diesen Tagen so falsch ein? Anna Lindh kämpfte seit Wochen und Monaten für den Euro und machte sich dabei nicht nur Freunde. Trotzdem war sie ohne Schutz unterwegs. Nur der Ministerpräsident und der König haben Personenschützer an ihrer Seite.
Die schwedischen Nachrichtenwebsites funktionieren wieder. Dagens Nyheter hat jegliche Anzeigen verbannt um den Datentransfer möglichst klein zu halten.
Gegen Abend wird in ganz Schweden auf Halbmast geflaggt. Auch die Nordischen Botschaften in Berlin schließen sich dem an. In Stockholm legen hunderte Blumen vor dem Parlament ab. Schweden trauert.
Artikel vom 11. September 2003